Kasuistik
PD Dr. David Weise, Dr. Philipp Henn
Klinik für Neurologie,
Schmerztherapie und Schlafmedizin,
Asklepios Fachklinikum Stadtroda
Patientendaten
- Josef, 68 Jahre
- Klempner/Installateur
- Verheiratet
Medizinische Anamnese
- Leidet seit ca. 13 Jahren an einem Parkinsonsyndrom, Erstdiagnose 2009
- Schwere Wirkfluktuationen
- Symptome:
- Ausgeprägte, teils unvorhersehbare Off-Phasen
- Dyskinesien
- Freezing
- Komorbiditäten:
- Vorhofflimmern mit oraler Antikoagulationsbehandlung
- Prostatakarzinom mit Notwendigkeit eines transurethralen Dauerkatheters
- Operationen im Bereich der Halswirbelsäule
- Totalendoprothese des Hüftgelenks
- Gastroösophageale Refluxkrankheit
Bisherige Therapien
- Bei Erstvorstellung 2018:
- Levodopa/Carbidopa/Entacapon (LCE) (Levodopa 325 mg/d)
- Transdermales Rotigotin (2 mg/d)
Behandlung
- Eine kontinuierliche Apomorphin-Pumpentherapie (Tagesdosis 52,5 mg zuzüglich Boli) als Ergänzung zur bestehenden Therapie mit LCE und Rotigotin:
- Abnahme der Dyskinesien; der Patient litt jedoch weiterhin unter ausgeprägten Off-Phasen mit Freezing, welche im Verlauf zunahmen und sich durch Apomorphin-Boli nicht adäquat behandeln ließen
- Juni 2020: nach Zunahme der Dyskinesien (UPDRS III: 26 Punkte, Hoehn-und-Yahr-Stadium 4) und regelmäßigen Stürzen (1 pro Woche) stationäre Aufnahme:
- Zusätzlich Safinamid (100 mg/d) und Amantadin (200 mg/d) und weitere nächtliche Apomorphin-Dosis (Tagesdosis 72 mg)
- Reduktion von LCE (Levodopa 225 mg/d) angesichts der Dyskinesien
- April 2021: erneute stationäre Behandlung aufgrund des verschlechterten Zustands. Der Patient war nunmehr zur Bewältigung des Alltags auf seine Ehefrau angewiesen und zeigte auch nicht-motorische Symptome:
- Deutliche kognitive Einschränkungen
- Optische Halluzinationen und Einschlafattacken
- Hinweis auf eine Impulskontrollstörung (gestörtes Essverhalten)
- Nachdem Amantadin bereits ambulant abgesetzt worden war, wurde auch Apomorphin schrittweise abgesetzt (48 mg/d, keine nächtliche Dosis)
- Verteilung der LCE-Dosis (Levodopa 225 mg/d) auf 4 Einzelgaben mit Levodopa/Carbidopa retard zur Nacht (100/25 mg) sowie zusätzlich Quetiapin
- Indikationsstellung für intestinale LCE-Therapie
- April 2021: Beginn der nasojejunalen Testphase, Start der LCE-Pumpentherapie am Folgetag
- Schrittweise Erhöhung der Laufrate, worunter eine gute Beweglichkeit erzielt werden konnte
- Vorzeitige Unterbrechung der nasojejunalen Testphase aufgrund einer intensivmedizinischen Behandlung einer Urolithiasis mit akutem Nierenversagen und Umstellung auf orale LCE-Therapie
- Mai 2021: Wiederaufnahme in stationäre Behandlung
- Der Patient lebte mittlerweile in einem Pflegeheim und war zu diesem Zeitpunkt weder stand- noch gangfähig und umfassend auf Hilfe angewiesen (MDS-UPDRS III: 61 Punkte, Hoehn-und-Yahr-Stadium 5)
- Die orale Medikation bestand zu dem Zeitpunkt aus:
- 5 Einzelgaben LCE (Levodopa 500 mg/d)
- Levodopa/Carbidopa retard zur Nacht
- Safinamid 100 mg/d
- Aufgrund der deutlich generalisierten Dyskinesien bei gleichzeitiger Hypokinese wurde die Medikation mit LCE zunächst auf ein dreistündiges Intervall umgestellt, jedoch ohne ausreichende Symptomdämpfung
- Erneute Indikationsstellung einer intestinalen Medikation mit LCE mit Verzicht auf erneute nasojejunale Testphase
- 19. Mai 2021: Anlage der PEJ-Sonde und Beginn der LCE-Pumpentherapie am Folgetag (initiale Laufrate 1,3 ml/h)
- Besserung der motorischen Defizite bei guter Verträglichkeit
- Eine leichte Reduktion der Laufrate auf 1,2 ml/h konnte die zunächst noch mäßig starken Dyskinesien weiter dämpfen; weiterhin bestehende Off-Phasen mit Freezing konnten mit LCE-Boli reduziert werden
- Aufgrund nicht vorhersehbarer Wirkungsschwankungen wurden im Verlauf 2 Programme mit unterschiedlichen Flussraten (1,3 ml/h und 1,2 ml/h) programmiert, um eine möglichst bedarfsgerechte dopaminerge Stimulation erzielen zu können
- Safinamid (100 mg/d) und retardiertes Levodopa/Carbidopa (100/25 mg/d) wurden unverändert fortgesetzt
- Zusammen mit einer intensiven nicht-medikamentösen Therapie führte dies zu einer täglichen Besserung der Beweglichkeit, sodass der Patient Ende Mai 2021 mit einem MDS-UPDRS III von 39 Punkten und im Hoehn-und-Yahr-Stadium 4 gangfähig entlassen werden konnte
Behandlungserfolg
- Januar 2022: Nach sieben-monatiger LCE-Pumpentherapie (Morgendosis 8 ml, Laufrate 1,3 ml/h bzw. 1,2 ml/h) konnte der Patient zwischenzeitlich wieder frei gehen, wenngleich er überwiegend den Rollator nutzte
- Gelegentliche Off-Phasen waren mit Boli (2 ml bis zu 3x täglich) gut zu handhaben
- Halluzinationen und Störungen des Essverhaltens traten nicht mehr auf, Dyskinesien nur bei Aufregung
- Insgesamt zeigte sich der Patient mit der LCE-Pumpe sehr zufrieden und lebte darüber hinaus nun auch wieder zu Hause
Fazit
Der geschilderte Verlauf zeigt, dass auch bei multimorbiden Patienten sowie Komplikationen im Verlauf der stationären Behandlung eine intestinale Folgetherapie sehr erfolgsversprechend sein kann. Unterstützt durch die kontinuierliche dopaminerge Stimulation ist der Patient wieder in der Lage, selbstständig zu laufen. Er konnte das Pflegeheim verlassen und sich einen deutlich selbstbestimmteren Alltag zu Hause erarbeiten. Die Dyskinesien hatten deutlich abgenommen. Über den beobachteten Verlauf von mehr als 6 Monaten traten keine relevanten Probleme mit der Bedienung der Medikamentenpumpe oder mit der PEJ auf. Sicherlich hilfreich war hierbei auch, dass im Vorfeld bereits eine Apomorphin-Pumpentherapie erfolgt war und daher Patient und Ehefrau im Umgang mit Medikamentenpumpen bereits vertraut waren.